Ein Interview mit Hubert Hoffmann

Hubert Hoffmann ist einer der weltweit führenden Lautenisten und Lautenexperten. Er hat sich in letzter Zeit auch viel mit der Instrumentenfamilie der Cister und dem Cithrinchen beschäftigt.

Cister von Girolamo Virchi, Andreas Schlegel, "The lute in Europe", 2011, S. 75

Der Unterschied zwischen Lauten und Cistern

Nicole: Du bist ja Lautenspieler. Kannst du mir bitte zu Beginn den Unterschied zwischen einer Laute und einer Cister erklären?

Hubert: Im Unterschied zu den Lauten kann man generell sagen, dass die Cister europäischen Ursprunges ist. Das erkennt man daran, dass es ein Zargeninstrument ist. Instrumente, die aus Europa kommen, sei es aus Griechenland oder aus Rom haben einen ganz ähnlichen Aufbau wie die späteren Violinen und Gitarren. Sie haben immer eine Schalldecke, haben einen Boden und diese beiden Bauteile werden mit einer sogenannten Zarge verbunden. Im Unterschied zu den Lauten, die eben diese Muschel aus mehreren Spänen haben und kunstvoller und deswegen arbeitsintensiver in der Herstellung sind. Und beide Instrumentenfamilien, die Cistern und die Lauten, kann man in Europa eigentlich seit dem 14. oder 15. Jahrhundert nachweisen. Meistens, also in der ganz frühen Zeit nur von Abbildungen, weil sich keine originalen Instrumente erhalten haben. Bei den Cistern scheint es aber so zu sein, dass man zwar ein Exemplar aus einem gesunkenen Handelsschiff finden konnte. In einem fürchterlichen Zustand, aber man hat sie im 20. Jahrhundert deshalb nachbauen können, weil man ein originales Instrument zur Verfügung hatte.

Aber wie gesagt, man kennt diese Instrumente bereits viel früher von Abbildungen, aber das sind jetzt die ältesten erhaltenen Exemplare und beide Instrumententypen haben dann eigentlich den Höhepunkt ihrer Entwicklung erst im 16. und 17. Jahrhundert erlebt und waren beide ungefähr gleich beliebt. Das heißt, dass es unendlich viele Cistern gibt, wahrscheinlich Hunderte, wenn nicht tausende, wahrscheinlich mehr als Lauten, weil sie einfach nicht gar so fragil wie die Lauten gebaut waren. Also es gibt wirklich sehr viele originale Cistern. Man kann also ganz schwer sagen, woher kommt das Instrument genau, man nimmt an, so ganz ursprünglich vielleicht, könnte das etwas gewesen sein, was die Griechen als Kithara bezeichnet haben. Auf jeden Fall hat sich das Instrument über ganz Europa verbreitet.

Und es macht eigentlich einen ziemlichen Bedeutungswandel durch.  Die Cister ist relativ leicht herzustellen, das heißt, es muss nicht unbedingt ein Instrumentenmacher sein, der dieses Instrument baut, sondern das haben eben auch Tischler gemacht. Es gibt also sehr viele ganz schlichte Instrumente, die wahrscheinlich auch genau deswegen in irgendwelchen Privatsammlungen herumliegen. Und weil es so viele gibt, finden sich auch in den Museen noch zahlreiche Exemplare. Im 16. und 17. Jahrhundert macht die Cister aber eine unverhoffte Karriere. Und zwar wird sie über ein italienisches Prachtinstrument, es gilt als das schönste Musikinstrument der Welt, bekannt. Es ist eine klassische Cister, aber natürlich in einer unendlich aufwendigen Herstellung aus dem späten 16. Jahrhundert für den Erzherzog Ferdinand von Tirol. Und genau dieses Instrument war offensichtlich so berühmt, dass es dazu geführt hat, dass weitere Adelshöfe auch Interesse an der Cister gezeigt haben.

Dadurch kommt die Cister, ganz ähnlich wie die Laute, schon bald in den höfischen Gebrauch und wird einfach zu einem Adelsinstrument. Mit der französischen Revolution ist das dann aber vorbei, also die Laute überlebt die Französische Revolution nicht. Einfach weil sie ein Adels-Attribut war.

Das gilt aber nur für die Laute und nicht für die Cister. Denn die Cister erlebt eine ganz erstaunliche Renaissance bis etwa in die Mitte des 19. Jahrhunderts, und zwar bei den Bergarbeitern. Dort wird sie dann als gar nicht mehr so edel betrachtet. Ganz besonders beliebt war sie bei den sächsischen Bergarbeitern.

Der Bergmann mit der Laute... oder doch nicht?!

Bergsänger und Hamburger Cithrinchen von Johann Schorn, 1703, Leihgabe Landesmuseum Kärnten

Nicole: Du hast uns ja damals darauf aufmerksam gemacht, dass der Bergmann aus Meissener Porzellan, den wir als Leihgabe im Museum haben, keine Laute, sondern eine Cister spielt.

Hubert: Ja, das erklärt wahrscheinlich den Bergmann, der nicht mit einer Laute, sondern mit einer Cister spielt. Das ist praktisch auszuschließen, weil die Lauten einfach viel zu kostbar waren! Um das einmal zu erläutern: Wenn man im 18. Jahrhundert eine Laute bei einem Meisterinstrumentenmacher bestellte, das war dann immer auch ein Geigenbauer, der auch Lauten gebaut hat, dann hat eine Laute ungefähr so viel gekostet wie 10 Meister-Violinen, also das kann man sich ungefähr umrechnen, eine Meister-Violine kostet heute ungefähr 20.000 bis 30.000€.

Ja, es gibt natürlich auch irgendwelche Fabriksinstrumente. Aber wir sprechen hier von Meister- Instrumenten und man weiß einfach aus historischen Rechnungsbüchern, wie teuer eine Laute war und die hätte sich sogar ein Bürger nicht leisten wollen, außer  die ganz Reichen und davon auch nur ganz wenige. Also: Lauten war einfach elitäre Instrumente und der Adel hat es sich geleistet, weil er einfach zeigen wollte, ich kann es mir leisten und ich bin gebildet. Das war dann irgendwie auch wahrscheinlich der Grund, warum die Laute einfach in der zweiten Hälfte des 18 Jahrhunderts ihren Niedergang erlebte, die Cister aber eben nicht. Also die Cister setzt jetzt eigentlich ihre Geschichte noch weit bis ins 19 Jahrhundert fort und übersteht auch noch die Industrialisierung, die Laute nicht, bei der Laute wäre eine industrielle Fertigung einfach unmöglich gewesen, bei einer Cister geht sich das aus. Ja, diese Bergmann-Cistern, also im sächsischen Raum, die wurden in Markneukirchen und im Böhmischen, wie die billigen Violinen auch, fast industriell, kann man sagen, gefertigt. Und auch Gitarren wurden dort wirklich komplett industriell gefertigt […]

Nicole: Gab es auch in Österreich eine Cistern-Tradition?

Hubert: In Österreich spielt die Cister eigentlich nicht eine wahnsinnig große Rolle und deswegen ist es eben sehr erstaunlich, dass aus Salzburg nun wenigstens zwei Cistern erhalten geblieben sind. Es gibt sonst keine mir bekannten Beispiele aus den österreichischen Werkstätten, die bekannt sind, denken wir jetzt aber an das Habsburgerreich, dann denken wir uns jetzt Prag dazu. Ich glaube, auch da gab es einfach fast keine Cisterninstrumente, das heißt also, sie wurden mit Ausnahme des Erzherzogs Ferdinand eigentlich in Österreich nur wenig gespielt.  Auch der Kaiserhof in Wien hat an Cistern offenbar kein Interesse gehabt. Und deswegen ist es auf jeden Fall bemerkenswert, dass ein österreichischer Meisterinstrumentenmacher, nämlich der Johann Schorn, überhaupt Cistern gebaut hat: Eine Cister in einer ganz bestimmten Form. Die eben nicht, wie gewöhnlich birnenförmig ist, sondern in dieser Glockenform. Und diese Glockenform taucht relativ selten auf. Der Hamburger Instrumentenmacher Joachim Tielke hat vor allem für die reichen Bürger, also für die die Damen des wohlhabenden Handelsmannes gebaut, vielleicht zu deren Zeitvertreib und er hat eine ganze Reihe von diesen hoch geschmückten oder hochdekorierten „Hamburger Cithrinchen“ hergestellt. Insgesamt gibt es von diesem Typus vielleicht 22 Stück. Zwei davon, und das ist der völlige Ausreißer, kommen aus Österreich. Das ist bemerkenswert, weil eben das Zehnfache von diesem Instrumenten-Typus in Hamburg hergestellt worden ist, daher nannte man dieses Instrument auch „Hamburger“ Cithrinchen. Aber das ist eine Zuweisung, die erst viel später kommt, eigentlich erst richtig mit der Musikinstrumenten-Forschung im 19. Jahrhundert, weil man halt dann für alles irgendwie einen Namen gebraucht hat und das Cithrinchen war in Mitteldeutschland ein ganz üblicher Begriff für diese kleine Cister […]

Nicole: Kannst du mir dann noch etwas mehr über die Herkunft bzw. die Geschichte des „Hamburger“ Cithrinchens erzählen?

Hubert: Ja, also die gibt es eigentlich nur in Norddeutschland, Dänemark, Norwegen, da war diese Glocken-Form verbreitet und jetzt lautet einfach die Frage, wer hat die zuerst erfunden? Und da gibt es einen gewissen Hinrich Koop oder Kopp, da gibt es mehrere Schreibweisen. auch aus Hamburg, und es scheint, dass er das erste Cithrinchen im Jahr 1669 gebaut hat. Und die werden dann ungefähr, also die Schorn-Instrumente sind eher spätere Instrumente, aber sie werden von der Werkstatt Tielke noch bis in die 1720 gebaut. Und dann ist es vorbei. Also dann gibt’s das Instrument einfach nicht mehr. Wir kennen also 22 Instrumente, zwei davon kommen aus Salzburg.

Nicole: Kann man sagen, warum es plötzlich nicht mehr gebaut wurde?

Hubert: Ich meine, wir in Österreich haben einfach keine Tradition im Cisternbau und im deutschsprachigen Raum scheint es so, dass sich das Instrument in einer gewissen sozialen Schicht, also bei den Bergwerkern, weiterverbreitet hat. Die haben das Instrument, damit also die Tradition, weitergetragen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Und zwar nur die birnenförmige Cister. Und dann war es (Anm.: das Cithrinchen) ja auch offensichtlich ein Modeinstrument.

Nicole: Wenn das Cithrinchen mit 22 Stück so selten ist, haben sich dann bis heute noch Noten erhalten?

Hubert: […] Das Cister-Repertoire an sich ist schon relativ dünn. […] Und ich meine, es gibt schon ein paar Exoten unter den Musikinstrumenten, wo das vielleicht auch noch so ist. Aber man kann sagen, für ein Instrument, zum Beispiel die Hamburger Cithrinchen, ich denke 22 ist nicht nix für ein Instrument und da ist offenbar kaum ein einziges Notenblatt erhalten.

 

Das Hamburger Cithrinchen

Die Cister ist ein Zupfinstrument mit birnenförmigem Corpus, das bereits seit dem europäischen Mittelalter nachgewiesen werden kann. Es wurde entweder mit einem Plektrum gespielt oder später auch mit den Fingern gezupft. Als Sonderform der Cister gilt das Cithrinchen, das einen glockenförmigen Corpus besitzt. Die Entwicklung dieses Instruments geht vermutlich auf den Hamburger Hinrich Kopp zurück, der dadurch auch die Namensgebung maßgeblich beeinflusste. Hergestellt wurden die seltenen Cithrinchen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die prunkvollsten Cithrinchen wurden von Joachim Tielke in Hamburg hergestellt

Literatur: Gerhard Stradner, Das Vibrato beim Hamburger Cithrinchen, in: Günther Wurzer, Die Musikinstrumente des Landesmuseums Kärnten, Klagenfurt 2012

Hamburger Cithrinchen von Joachim Tielke, 1688, Friedemann und Barbara Hellwig, "Joachim Tielke. Kunstvolle Musikinstrumente des Barock", Berlin/München 2011

Zur Person von Hubert Hoffmann


Hubert Hoffmann

Nicole: Mich würde noch interessieren, wie du überhaupt zur Laute gekommen bist? Es ist ja kein alltägliches Instrument.

Hubert: Ja, ich habe mit 4 Jahren Geige angefangen, ganz einfach, weil eine Geige im Haus war und weil man mir nachgesagt hat, ich sei musikalisch. Ich habe gesungen und habe offensichtlich nicht falsch gesungen, ich weiß nicht, wie sie (Anm.: seine Eltern) darauf gekommen sind.

Und dann habe ich mit 9 Jahren mit der Gitarre begonnen. Mir hat einfach jemand eine Gitarre in die Hand gedrückt und hat gesagt, hättest du nicht Lust in irgendeiner Band mitzuspielen? Dann habe ich mit der Gitarre angefangen und das ist auch relativ leicht und schnell gegangen. Mit 12 war ich an der Hochschule und hab da Gitarre studiert. Ich war so ein Jungstudent und habe mit 18 mein Konzertdiplom gemacht, weil ich natürlich nebenbei maturieren musste. Dann war ich noch Sängerknabe. Das heißt, mein Leben, war ein Leben mit Musik und natürlich, bin ich schon bald in die „Sammlung Alter Musikinstrumente“ gekommen und war von den Lauten dort fasziniert, und zwar noch bevor ich mit der Gitarre überhaupt angefangen habe Und irgendwie hat mich das nicht losgelassen und wenn du mit 18 ein Gitarrendiplom hast und eigentlich spielen kannst, was da ist, dann hat man natürlich noch Pläne mit seinem Leben. Man überlegt, was ich jetzt mach und habe dann vorher schon überall herumgefragt. Und dann habe ich beschlossen, ich mach was richtig Schweres, nämlich Laute. Und dann habe ich eben Laute studiert. Ach ja, das war ein großer Umbruch, eine Zäsur in meinem Leben. Das war in Wien nicht möglich und so bin ich dann nach Holland gegangen und habe 6 Jahre lang noch einmal richtig Laute studiert, dann 3 Jahre Konzertexamen in Köln und dann noch einmal 5 Jahre Privatunterricht bei einem absoluten Guru. Ich war in meinem dritten Studienjahr und ab diesem Zeitpunkt habe ich für Geld gespielt, ab da war ich dann ein professioneller Musiker.

Und ich habe mich vor allem optisch in das Instrument verliebt. Ich bin natürlich über meine Gitarrenstudien in Berührung mit originaler Lautenmusik gekommen. Wenn sie ein gewisses Niveau erreicht haben, spielen sie (Anm.: Gitarrenspieler) auch unglaublich viel Lautenmusik. Das ist heute vielleicht nicht mehr so, aber damals zu meiner Zeit war das der Fall. Das war extrem und ich habe mir dann gedacht, ja, so ein schönes Instrument und ich dachte, das muss alles viel leichter sein wie auf der Gitarre (lacht).  Hm: Eine große Täuschung!

Nicole: Warum ist die Laute so viel schwerer zu spielen?

Es ist so. Also ich gehe nicht mit sechs Saiten um, sondern mit mindestens 11, also 24 ist dann das Maximum. Wie ich angefangen habe Laute zu spielen, hat eigentlich niemand so genau gewusst, was eine Laute ist. Wir haben zwar alte Lauten gehabt, aber wir haben die äußerlich nachgebaut, aber das hat irgendwie alles nicht wirklich funktioniert und das hat sich dann eigentlich erst im Laufe meiner Ausbildung weiterentwickelt. Also meine Initiation in die ganze Geschichte war früh. Es war glaube ich das Jahr 1984, da hat mein Professor gesagt, er hätte ein sehr berühmtes altes Lauteninstrument, das frisch restauriert worden war in einem Konzert dem Publikum vorzustellen.  Leider hatte dieser Professor keine Zeit, weil er ständig unterwegs war, aber natürlich wollte er dieses Konzert, mit Rundfunkaufnahme und Dokumentation auf jeden Fall selber spielen. Aber man muss natürlich  diese alten Instrumente erst einmal einspielen, oder das Instrument muss erst spielbereit gemacht werden. Und da habe ich einfach 10 Tage mit dieser alten Laute verbringen können. Und deshalb, ja, und danach habe ich einfach gewusst, entweder ich höre jetzt auf mit dem Laute spielen, sofort, weil alles, was ich bisher gelernt hatte, auf diesem alten Instrument nicht funktioniert hat. Das war ein bisschen frustrierend. Dann hab ich mir einfach gedacht, nein, also so leicht mache ich es mir nicht.  bin da relativ steirisch, meine väterliche Seite waren Uhrmacher in Graz, das heißt, ich bin ein Dickschädel und war eben hartnäckig. Ich hab mir gesagt: Also ich will es jetzt wissen, und dann habe ich mir einfach eines der alten Instrumente genauestens, also das am besten dokumentierte Instrument in diesem Museum, das waren hunderte von Seiten Dokumentation, genauestens nachbauen lassen. Mit dieser Laute habe ich dann mein Leben verbracht.

Jetzt glaube ich, dass ich weiß, wie eine Laute funktioniert. Und bin dabei alt geworden, ja (lacht).

 

Ein Beitrag von Nicole Hacksteiner