Die Sammlerfamilie Vogl, Kitzbühel

Wer war diese Maria Vogl (1864-1950), die so fantastische Gotikkunst in unsere Zeit rettete? Die als Frau ihrer Zeit die Hosen anhatte und wertvollste Kunstwerke aus dem direkten Umfeld von Kitzbühel sammelte - Puzzleteile einer Familiengeschichte.

 

Ein Weiberleit mit Hosen und auf dem Hochrad: Wie unschicklich! Und dann noch die Gattin des Apothekers! Vor 1900 soll die Aufregung in Kitzbühel groß gewesen sein, als Maria Vogl mit dem Drahtesel ihres Mannes durch die Stadt fuhr. Sie trug auch dessen Beinkleider. Wahrscheinlich, weil das Strampeln mit einem Kittel ganz und gar unmöglich gewesen wäre.  Ein Gendarm, der sie zur Rede stellen wollte, flüchtete schon in den ersten Zügen des entstandenen Streitgespräches. Viele Anekdoten ranken sich um die einstige Zillertalerin, die dort 1864 mit dem Familiennamen Gruber zur Welt gekommen ist. Später arbeitete sie als Kellnerin im Gasthaus Tiefenbrunner in Kitzbühel.

Alois Vogl, Apotheker in dritter Generation in dieser historischen Bergbaustadt, muss sich wohl ganz irrsinnig in die Tirolerin verliebt haben. Denn er gab ihrer Bedingung für eine Ehe nach, die da lautete: Seine „Apotheke zum Tiroler Adler“ müsse vom Familiensitz in der Hinterstadt in die Vorderstadt Kitzbühels übersiedeln. So erwarb Alois Vogl das zum Verkauf stehende Innungshaus der Bergwerke (ehemaliges K&K-Postgebäude) im Zentrum. Gattin Maria war zufrieden, schenkte ihm drei Kinder - und mit den Jahren jede Menge Zuwachs an gotischer Kunst.

 

„Auch für einen Erzherzog öffne ich meine Sammlung nicht“

Das soll Maria Vogl diesem nicht näher bezeichneten Landesherrn vom Erkerfenster im ersten Stock des Apothekerhauses hinunter gerufen haben.  Die Privatsphäre, die betraf auch ihre Sammlung, die mit den Jahren auf einen beträchtlichen Schatz an Skulpturen, Tafelbildern, Reliefs, Altären, Möbelstücken anwuchs. Im Hause Vogl blühte die Gotik noch einmal auf, während sie allerorts als „verstaubte Kunst“ entfernt wurde. Der Barock mit seiner schnörkelhaften Formensprache war nun modern geworden. So war die Sammlerin zur Stelle, wenn in Kirchen, Kapellen und Wohnzimmern „ausgemistet“ wurde.

Auf ihren Besichtigungs- und Kauftouren im Raume Kitzbühel bis in den Salzburger Pinzgau hinein hatte sie immer eine Dose mit Keksen dabei. Vielleicht war dies der Anbahnung von Kontakten zuträglich. Heute würde man den Besitzer ersehnter Kunstwerke wohl eher zu einem schönen Essen einladen.

Die Sammlerfamilie Vogl, Kitzbühel

Die Zeit war eine andere, und auch das Lagern von Kunstgegenständen noch unkompliziert. Zumindest für die „Frau Apotheker“, die in einem Stadel auf zwei Ebenen viele sakrale Figuren aufbewahrte. Die wurden an den Hälsen mit Stricken aufgehängt, stetig kamen neue Exponate hinzu. Das Erworbene versah sie mit Nummern, teils auch mit Herkunftsorten. Ein Inventarverzeichnis muss es auch einmal gegeben haben, leider existiert es nicht mehr. Maria Vogls Ehemann fand als talentierter Hobbymaler vielleicht sogar Inspiration im Tun seiner Frau. Dass er sie dabei schalten und walten ließ, ist jedenfalls gewiss.

 

 

Enkel Oswald wird zum Kunstexperten und der Heilige Georg zum Spielpferd

Große politische Umbrüche hat diese Frau in ihrer Zeit erlebt: Das Kaiserreich ging zu Ende, die beiden Weltkriege brachten Tod und Zerstörung und auch die Zwischenkriegszeit Elend und Not. Maria hatte in jungen Jahren geheiratet und war dann als Frau Ruch früh Witwe geworden.

In Kitzbühel ehelichte sie später ihren zweiten Mann Alois Vogl. Nach den Schilderungen ihrer Nachfahren muss sie eine starke Erscheinung gewesen sein. Jeder hatte Respekt vor ihr. Besonders auch die drei Enkel, die sich sogar ein bisschen vor der energischen und extrem willensstarken Oma fürchteten. So wurde jedes Jahr von den zwei älteren Geschwistern der jüngste Bruder Oswald vorgeschickt, um der Großmutter den Geburtstagskuchen zu überreichen. „Braver Bub“ soll diese dann gesagt und ihm ein paar Schillinge geschenkt haben.

Die Sammlerfamilie Vogl, Kitzbühel

Also alles nicht so schlimm, zumal die Heiligenfiguren ringsum so etwas Geheimnisvolles für den Knaben ausstrahlten. So wurde er selbst später zum eifrigen Kunstsammler. Der Apotheker in vierter Generation in Kitzbühel erbte einen Teil der Gotiksammlung und begann diese stetig zu erweitern. Seine Tochter Editha Reitter erinnert sich noch lebhaft daran, hätte sie doch gerne zeitgemäße und bequeme Möbel im Haus gehabt.

„Wir lebten wie in einem Museum. Vater liebte es genauso wie vorher seine Großmutter, sich mit Gotik zu umgeben. Wir Kinder mussten aufpassen, nichts schmutzig zu machen“, erzählt sie und schildert lächelnd, was Fachleute wohl an den Rand der Verzweiflung bringen würde: „Gespielt habe ich mit der Skulptur des Heiligen Georg. Das war mein Reitpferd.“ Gerne habe der Vater im Familienkreis über Kunst geplaudert. Er hätte im Haus auch eine Renaissance-Decke freilegen lassen und dort noch ein ganz spezielles Museumszimmer eingerichtet, so die Tochter, die ebenfalls Pharmazie studierte.

 

Die Sammlung der Urgroßmutter geht als Schenkung nach Leogang

Prof. Hermann Mayrhofer, Kustos des in Fachkreisen mittlerweile berühmten Bergbau- und Gotikmuseums in Leogang, war 2014 auf die Sammlung Vogl aufmerksam geworden. Auf einer „Löwenmadonna“ eines Wieners, die in Salzburg ausgestellt war, stand der Vermerk „Sammlung Vogl“. Nun recherchierte er und konnten die in Steyr, OÖ, lebende Urenkelin Editha Reitter ausfindig machen.

Sie bat er um Leihgaben und erfuhr, dass auch ein Heiliger Daniel in ihrem Bestand sei. Das war in der Tat eine Sensation für den Kustos, der bereits 20 Jahre lang diesen Schutzheiligen der Knappen  – nach ihm ist in Leogang der Danielstollen benannt – gesucht hatte. Ihn bekam er als Leihgabe. Ganz unerwartet machte Editha Reitter dem Museum in der Folge zwei Möbelstücke zum Geschenk, die heute die „Pinzgauer Stube“ zieren.

Dann kam eines Tages die völlig unerwartete Ansage ihrerseits, sie werde dem Museum die Gotik-Sammlung schenken. Ihr Bestreben sei es, so die Gönnerin, „die Sammlung Vogl zu erhalten, zu pflegen, der Öffentlichkeit im Museum zugänglich zu machen und an die bemerkenswerte Sammlerin - ihre Urgroßmutter - zu erinnern“. Das sei „wie Weihnachten und Ostern gleichzeitig“ gewesen, erzählen Mayrhofer und sein Kustos-Stellvertreter Andreas Herzog.

Aus dieser Schenkung wurde sodann die Sonderschau 2022 konzipiert. Und die vereint, was Mayrhofer besonders freut, alle Prinzipien dieses Museums: das Bewahren, Rückführen und Zusammenführen von Exponaten in hochrangiger Qualität. So stammt ein Flügelaltar aus dieser Sammlung wahrscheinlich aus der Kirche Leogang, die Tafel „Maria Heimsuchung“ wiederum war einmal Teil des gotischen Altars in Maria Alm. Dann rührt der Mittelteil eines Kreuzaltares von der St. Margarethenkapelle am Friedhof von St. Peter in Salzburg her. Seine beiden Seitenflügel befinden sich im Museum St. Peter. Beides wird nun wieder zusammengefügt und im Domquartier Salzburg ausgestellt.                                                                                                      

 

Christine Schweinöster